Von Krisenbewältigung und scheinheiligen Kunden

Von Krisenbewältigung und scheinheiligen Kunden

Die MMM-Fachtagung spannte in ihrer Frühlingsausgabe einen breiten Bogen über die neuesten Trends im Handel. Dabei ging es unter anderem um schrumpfende Shopflächen, scheinheilige Konsumenten, pflanzenbasierte Sortimente und die Kika-Leiner-Sanierung.

Zweimal jährlich lädt Georg Wailand, GEWINN-Herausgeber und Präsident des MMM-Clubs Österreich, Interessierte zur MMM-Fachtagung ins Arcotel Wimberger in den siebenten Wiener Gemeindebezirk. Bei dieser hochkarätigen Veranstaltung referieren Experten aus Praxis und Wissenschaft anhand von Fallbeispielen aus dem In- und Ausland über die neuesten Trends im Handel. Diesmal mit dabei war Peter Schaider, Inhaber und Geschäftsführer des im Westen von Wien angesiedelten Auhof Centers und des Riverside im 23. Bezirk. Seiner Prognose nach haben in den derzeit herausfordernden Zeiten nur die besten Einkaufszentren mit einem ansprechenden Mietermix dauerhaft Überlebenschancen.

Ein Supermarkt, eine Droerie, Bekleidungsgeschäfte sowie Gastronomieangebote und Unterhaltung, etwa durch ein Kino, bilden eine gute Basis, im Auhof Center gibt es zudem ein Ärztezentrum. Dass neue Shoppingcenter gebaut werden, ist für Schaider insbesondere in Wien sehr unwahrscheinlich, die Finanzierung sei aufgrund der gestiegenen Quadratmeterpreise kaum mehr möglich. Bei Fachmarktzentren rechnet der Handelsexperte mit einem Rückgang von 20 Prozent, weil davon einfach zu viele existierten, die einander zudem noch Konkurrenz machen. Mit Kritik spart der Handelsexperte auch nicht bei einer speziellen Konsumentengruppe. „Onlinekäufer sind Arbeitsplatz- und Umweltvernichter“, so Schaider, der aber auch die Mitarbeiter im stationären Handel in die Pflicht nimmt. „Wenn man die Kunden nicht gut behandelt, driften sie in den Onlinehandel ab. Das fängt beim Grüßen an und setzt sich im besten Service fort.“

Stockendes Flächenwachstum und stabile Immobilienpreise

Schaiders Ausführungen aus der Praxis bestätigte Hannes Lindner, Geschäftsführer des unabhängigen Beratungsunternehmens Standort + Markt. Dass Handelsflächen ihre Wachstumsgrenzen erreicht haben, belegen die Zahlen aktueller Erhebungen. Während bei

Shoppingcentern kaum mehr etwas geht – seit 2021 kamen lediglich drei neue Fachmarktzentren hinzu –, waren die Fachmarkt-Agglomerationen (dabei handelt es sich um mehrere räumlich benachbarte Fachmärkte, die jedoch keinem gemeinsamen Centermanagement unterstehen und keine einheitliche Planung erkennen lassen, Anm.) die stillen Gewinner der Krise. Durch die Kika-Leiner-Pleite kam es aber auch hier erstmals zu einem Schrumpfen der Verkaufsfläche. Die Leerstände bewegen sich laut Lindner mit 4,6 Prozent bei Shoppingcentern und rund vier Prozent bei Fachmarktagglomerationen (bereinigt um Kika/Leiner) auf einem moderaten Niveau, weil frei gewordene Flächen häufig alternativ genutzt werden. Insbesondere in den Städten würden diese mit Ärztezentren, Wohnungen oder auch Dienstleistungen bespielt. In Shoppingcentern wiederum steigt der Anteil von Diskontern deutlich an. Was die Zahlen ebenfalls ans Licht brachten: In Innenstädten verliert der Handel immer stärker an Bedeutung.

Johannes Endl, Vorstand bei ÖRAG Immobilien, beleuchtete die Entwicklung im Handel aus Immobiliensicht und knüpfte an die Aussagen Lindners an. 2023 war Endls Daten zufolge erneut ein schwieriges Jahr für den Immobilienmarkt. Es gab nur wenige Transaktionen, die hauptsächlich unter Druck erfolgt sind. Das betrifft auch Handelsimmobilien – als Beispiel nannte er die Signa-Verkäufe des Meinl-Hauses am Graben oder des Apple-Hauses auf der Kärntner Straße, beide in Wien. Außerdem sind die Preise für Handelsobjekte insbesondere in schlechteren Lagen gesunken; in Toplagen blieben sie hingegen stabil oder verzeichneten einen Anstieg. Den Daten ebenfalls zu entnehmen ist, dass der Onlinehandel den Markt stark beeinflusst und zusätzliche Logistikflächen, vor allem im Bereich der „letzten Meilen“ notwendig werden.

Restrukturierung: Kika/Leiner hat viele Baustellen

Zur angesprochenen Kika-Leiner-Pleite nahm Volker Hornsteiner Stellung. Der langjährige Billa-Manager dockte im Sommer 2023 als Mitglied der Geschäftsführung beim in die Insolvenz geschlitterten Möbelhändler an und ist seitdem mit dessen Restrukturierung beschäftigt. Von den 40 Standorten mussten 23 geschlossen werden, mit den verbleibenden 17 versuche man nun, in der Nische wieder Fuß zu fassen. Verantwortlich für die Bereiche Personal, Marketing, Vertrieb und Vertriebsorganisation erklärte Hornsteiner mit überraschender Offenheit: „Filialen zuzusperren, ist keine unternehmerische Leistung.“

Auch wenn man sich auf dem Weg der Besserung befinde, gebe es noch immer große Herausforderungen – insbesondere im Vertrieb, im Einkauf, im Marketing und in der IT. Vor allem in Letztgenannte wurde jahrelang nichts investiert, 130 Schnittstellen zum Hauptsystem würden dies eindrucksvoll aufzeigen. Wenig Freude bereitet Hornsteiner die Anpassung der Personalkosten an die Umsätze, aber: „Ich passe lieber die Personalkosten dem Unternehmen an und rette 1.500 Arbeitsplätze, bevor wir in zwei Jahren 1.500 Leute auf die Straße setzen müssen.“ Dass man nach wie vor zwei Homepages betreibt, liegt am fehlenden Budget. „Wir müssen darauf fokussieren, unsere Mitarbeiter bei der Stange zu halten und das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen.“ Mit der neuen Eigenmarke Oho im Preiseinstieg will man künftig auch eine jüngere Klientel ansprechen.

Mehr Insolvenzen und scheinheilige Konsumenten

Dass die Geschäftslage im Handel generell angespannt ist, erörterte Ricardo-José Vybiral, CEO des KSV 1870. Die Stimmung hat sich zwar zuletzt wieder verbessert, jedoch auf niedrigem Niveau. Immer noch kämpfen die Betriebe mit steigenden Kosten, geringerer Auftragslage und Arbeitskräftemangel. Die Prognose für das Gesamtjahr 2024 zeigt eine gewisse Resilienz. „51 Prozent erwarten, dass es konstant gut oder schlecht bleiben wird“, so Vybiral. Investitionen und Kreditaufnahmen sind nach wie vor gedämpft. Weiters betont der KSV-1870-Chef die zunehmende Bedeutung von Cybersecurity und bedauert, dass 64 Prozent der österreichischen

Händler die NIS2-Richtlinie nicht am Radar haben. „Wir sind ein Land der digitalen Lethargie“, bringt er es auf den Punkt. Die gute Nachricht: Insolvenzprognosen zeigen einen Anstieg, aber nicht auf ein alarmierendes Niveau. 2023 gab es rund 1.000 Insolvenzen im Handel, 2024 werden es voraussichtlich 1.300 sein. Wie Krisen nicht nur Unternehmen, sondern auch das Konsumverhalten ändern, erörterten Christoph Teller und Ernst Gittenberger von der JKU Linz gewohnt unterhaltsam. Während die Covid-19-Krise zu einem

mittlerweile wieder abflachenden Onlineshopping- und einem anhaltenden Reise-Boom geführt hat, ging die Teuerungskrise mit einer Kaufzurückhaltung einher, die sich nur langsam wieder auflockert. „Aktionen bleiben weiterhin bedeutend, auch weil der Handel die Konsumenten in den letzten Jahren regelrecht darauf getrimmt hat“, erklärt Teller. Zudem habe die Teuerungskrise auch die Scheinheiligkeit der Konsumenten befeuert. Gittenberger: „Es hat sich gezeigt, dass die Konsumenten nicht immer das tun, was sie sagen.“ Wenn es um die Vorlieben beim Einkauf geht, stehen Fairtrade, Tierwohl, Qualität und Bio ganz oben in diversen Umfragerankings. Aber: „Letztendlich entscheidet doch der Preis“, so Teller mit Verweis auf eine Erhebung, die man mithilfe von Projektivtechnik (zuerst: „Wie siehst du das bei anderen Konsumenten?“, dann: „Wie siehst du das bei dir selbst?“) durchgeführt hat.

Pflanzliche Alternativen und Tierhaltung plus

Die Konsumenten in den Fokus stellte auch Verena Wiederkehr, Head of Plant-based Business Development bei Billa. Sie zeigte auf, wie sehr sich die Auswahl an rein pflanzenbasierten Lebensmitteln in den letzten Jahren erhöht hat. „Billa Plus hat mit mehr als 7.000 rein pflanzlichen Artikeln das größte rein pflanzliche Sortiment in Österreich und war schon 2002 mit der Eigenmarke Vegavita ein Vorreiter in diesem Bereich.“ Dabei setzt man auf Vielfalt und immer häufiger auch auf die Verwendung österreichischer Rohstoffe. Mit Billa Pflanzilla im Kaufhaus Gerngroß auf der Wiener Mariahilfer Straße führt der Lebensmittelhändler darüber hinaus einen Standort, an dem ausschließlich pflanzliche

Produkte (rund 3.000) erhältlich sind. Wie sehr sich Billa zu Plant-based bekennt, zeigen auch die eigenen Pflanzilla-Welten, die mittlerweile in 21 Billa-Plus-Märkten integriert wurden. Weitere Pflanzilla-Stores sind hingegen nicht geplant, viel mehr soll im Zuge einer nationalen Strategie das pflanzenbasierte Angebot über alle Warengruppen hinweg weiter ausgebaut werden.

Dass sich die Anzahl pflanzlicher Alternativen zu Fleisch und Milch stark erhöht hat, sieht auch Helmut Petschar, Präsident der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter (VÖM) und Geschäftsführer der Kärntnermilch. „2018 hat es in Österreich 849 verschiedene Produkte gegeben, mittlerweile sind es 1.247.“ Ein Thema, das die Milchwirtschaft „natürlich berührt“. Zudem landet immer häufiger ausländische Milch in den Einkaufswagerln der Österreicher, häufig bedingt durch die Eigenmarken der Händler. Dabei sei die Qualität heimischer Milchprodukte außergewöhnlich hoch. Seit 2005 werden diese ausschließlich gentechnikfrei hergestellt, 18 Prozent sind bereits Bio und 16 Prozent Heumilch.

Um den Wert des Lebensmittels zu erhöhen, will die österreichische Milchwirtschaft Tierwohlstandards noch weiter ausbauen und führt das freiwillige Zusatzmodul „Tierhaltung plus“ ein. Dieses umfasst unter anderem die Haltung in Laufställen oder in Kombinationshaltung, Scheuermöglichkeiten, Tiergesundheitsmonitoring, gentechnikfreie Fütterung und jährliche Kontrollen.

Kontakt

Leitung Marketing & PR

Tanja Kristament