Der geldpolitische Vorstoß der Europäischen Zentralbank könnte der angeschlagenen Baubranche etwas Auftrieb verleihen.
Die früh signalisierte und damit lange erwartete Zinssenkung der EZB ist seit Donnerstag Realität. Das lässt die Immobilienwirtschaft in Österreich und Deutschland nun etwas aufatmen. „Die zu schnell gestiegenen Zinsen waren bisher echte Plagegeister für die Immobilienbranche. Sie verhinderten viele, viele Projekte und bremsten die Konjunktur aus“, sagt Präsident Andreas Mattner vom Zentralen Immobilien-Ausschuss (ZIA) in Deutschland.
In Österreich sehen Projektentwickler die Situation ähnlich. „Die nun angekündigte Senkung des Leitzinses ist großartig für die Branche“, betont Michael Schmidt, Geschäftsführer der 3SI Immogroup. „Die Phase des Abwartens, wann die Trendwende eintritt, ist endlich vorbei. Nicht nur klassische Immobilien, auch Zinshäuser werden dadurch wieder attraktiver.“ Schmidt erwartet durch diesen Schritt ein Steigen der Nachfrage nach Wohnraum und in der Folge ein Steigen der Wohnungspreise für Objekte in guten Lagen und mit guter Ausstattung.
Aus Sicht von ÖRAG-Vorstand Stefan Brezovich ist es verfrüht, aufgrund der aktuellen Leitzinssenkung der EZB um 0,25 Prozentpunkte von einer echten „Zinswende“ zu sprechen: „Da die Inflationszahlen im Euroraum zuletzt – trotz gesunkener Energiekosten – wieder leicht nach oben tendieren, wäre es sicherlich zu früh, in Sachen Inflation eine echte Entwarnung zu geben.“ Brezovich geht im Jahr 2024 von „maximal noch ein, zwei weiteren Zinsschritten nach unten“ aus, diese würden von der weiteren Entwicklung der Inflation abhängen. „Die hohen Lohnabschlüsse in vielen europäischen Ländern haben sich hier noch nicht final ausgewirkt.“
»Die Immobilienwirtschaft sollte sich die Zeit der Null- und Negativzinsen nicht zurückwünschen.« Stefan Brezovich, Vorstand ÖRAG
Aus Sicht der Immobilienwirtschaft ist die Senkung jedenfalls ein erfreulicher Schritt, „wobei sich die Immobilienwirtschaft die Zeit der Null- und Negativzinsen nicht zurückwünschen sollte – angesichts der Verwerfungen, die diese ausgelöst haben“, betont der ÖRAG-Vorstand. Für Kreditnehmer sei positiv anzumerken, dass insbesondere langfristige Finanzierungen schon zuletzt zu vernünftigen Konditionen verfügbar waren.
IWF hält Zinssenkung für „angemessen“
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hält die erste Zinssenkung der Euro-Währungshüter seit der Inflationswelle im Euroraum für „angemessen“. „Wie in den USA haben wir auch in Europa erhebliche Fortschritte bei der Senkung der Inflation gesehen. Wir halten die Politik der EZB für angemessen“, sagte IWF-Kommunikationsdirektorin Julie Kozack am Donnerstag in Washington. Es sei aber wichtig, dass die EZB ihren datenabhängigen Ansatz von Sitzung zu Sitzung beibehalte.
Die EZB-Währungshüter um Notenbankpräsidentin Christine Lagarde senkten den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent. Den auf dem Finanzmarkt maßgeblichen Einlagensatz, den Banken für das Parken von Geld bei der Zentralbank erhalten, kappten sie von 4,00 auf 3,75 Prozent. „Von den verbesserten Finanzierungskonditionen werden Verbraucher, Unternehmen und insbesondere der Bausektor profitieren“, sagt der Regierungsberater und Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Moritz Schularick. Der deutsche Immobilienmarkt habe 2023 den stärksten Preiseinbruch seit 60 Jahren verzeichnet, wie der Preisindex Greix des IfW zeige. „Die Zinswende ist auch ein Hoffnungsschimmer für den deutschen Immobilienmarkt.“ (hbh)
Clemens Fabry