ÖRAG-Chef Stefan Brezovich über die Auswirkungen der Signa-Pleite, Preisrückgänge von bis zu 50 Prozent und welches Zinsniveau für die Immobranche verkraftbar ist.
Die ÖRAG zählt mit ihrem Gründungsjahr 1871 zu den traditionsreichsten Adressen
der heimischen Immobilienwirtschaft. Als Chef eines der größten Hausverwalter, Makler und Immobilienbewerter des Landes hat Stefan Brezovich einen entsprechend guten Überblick über den Immobilienmarkt.
GEWINN: Seit Sommer 2022 herrscht
bei Immobilienkäufern und -verkäufern Verunsicherung. Die einen wollen nicht zu billig verkaufen, die anderen nicht zu teuer kaufen. Braucht es
zuerst einen harten Schnitt, Pleiten à la Signa und rasch fallende Preise, damit der Markt wieder anspringt?
Brezovich: Das Vorjahr war von einer Preisfindungsphase geprägt. Ich glaube, dass heuer Verkäufer und Käufer häufiger zueinanderfinden und wir wieder mehr Transaktionen sehen werden. Ein Soft Landing wäre für den Immobilienmarkt besser als ein harter Schnitt. Dieser würde nämlich viel Wert unnötig vernichten. Im Unterschied zu Aktien kann ich Immobilien unter Druck in kurzer Zeit nur schlecht veräußern. Das ist immer mit einem massiven Wertverlust verbunden. Der Preis entspricht dann gar nicht dem substanziellen Wert. Die Leidtragenden sind die Verkäufer, aber auch die finanzierenden Banken. Die Banken haben auf die Herausforderungen der Schuldner bis dato relativ ruhig reagiert, etwa mit Aussetzen von Zinsen, statt die Immobilien auf den Markt zu bringen.
GEWINN: Von Signa könnten aber viele große Häuser, vor allem im
Zentrum Wiens, gleichzeitig auf den Markt kommen. Könnte dieser so viele Immobilien überhaupt aufnehmen?
Brezovich: Signa besitzt nicht so viele Objekte im ersten Bezirk. Ich gehe davon aus, dass es wie beim Meinl am Graben-Haus (wurde Ende 2023 für 80 Millionen Euro von Signa an die Ärztekammer verkauft, Anm.) Investoren gibt, die zu einem attraktiven Preis kaufen. Ich sehe eher das Problem der absoluten Größe der Signa-Immobilien wie Park Hyatt oder anderen Teilen des Goldenen Quartiers. Dem Vernehmen nach liegen wir dort jeweils im Bereich von mehreren Hundert Millionen Euro. Das ist für eine einzelne Immobilie in Wien ein seltener und schwer handelbarer Wert. Wenn diese Objekte verkauft werden müssen, ist das eher etwas für ausländische Investoren.
GEWINN: Sie meinten Anfang des Jahres, dass man schon jetzt bei einzelnen Objekten Preisabschläge von 20 bis 30 Prozent im Vergleich zu den Höchstständen von vor zwei Jahren beobachten kann. Reicht das?
Brezovich: Es gibt Zinshäuser in unattraktiven Lagen, die vor zwei Jahren zu extrem hohen Preisen verkauft wurden, wo wir heute nur noch bei der Hälfte des Werts sind. Es gibt aber auch gute Lagen im ersten Wiener Bezirk, wo wir nur fünf bis zehn Prozent Rückgang sehen. Inflationsbereinigt gibt es fast überall Rückgänge.
GEWINN: Trotz der Preisrückgänge trauten sich bisher selbst vermögende Investoren, die nicht auf Kredite an-
gewiesen sind, nur selten über Käufe drüber. Warum? Weil sie mit weiteren Preissenkungen rechnen?
Brezovich: Viele, die kaufen könnten, weil sie sehr viel Eigenkapital haben, hielten sich 2023 zurück, weil unklar war, wohin sich Zinsen und Renditen bewegen. In einer solchen Phase haben sie sich nicht getraut, zu kaufen, oder erwartet, dass es noch günstiger wird. Jetzt sind wir an einem Wendepunkt von Unsicherheit hin zu Stabilität. Die Marktteilnehmer gehen da-von aus, dass es nicht zu weiteren Zinserhöhungen kommen wird. Die Investoren haben nun wieder Vertrauen, dass sie mit gutem Gewissen kaufen und sich die Objekte zu attraktiven Preisen sichern können. Wir werden in den nächsten Monaten sicher einige große Transaktionen von Investoren sehen, die jetzt einsteigen. Sie erwarten, dass Immobilien nicht lange auf diesem Preisniveau bleiben werden und es wieder teurer wird, wenn die Zinsen sinken. Außerdem sind derzeit Objekte verfügbar, die nur selten auf den Markt kommen.
GEWINN: Genügt es, wenn die Zinsen nicht mehr steigen? Müssten sie nicht vielmehr deutlich fallen, um Investments in Immobilen wieder zu unterstützen.
Brezovich: Meiner Meinung ist die Euphorie der letzten Monate bezüglich schnell sinkender Zinsen verfrüht. Da ist bei vielen Menschen der Wunsch der Vater des Gedankens. Ich halte ein Zinsniveau zwischen drei und vier Prozent für gesund und auch für die Immobilienwirtschaft für verkraftbar. Das Problematische war, dass derlange fällige – Zinsanstieg binnen nur zwölf Monaten gekommen ist und die Immobilienbranche mit ih-ren langen Zyklen keine Zeit hatte, da-rauf zu reagieren. Es hilft jedenfalls nichts, den Nullzinsen nachzutrauern. Wenn Geld keinen Wert hat, führt das zu einer ungesunden Entwicklung. Und es gibt natürlich Marktteilnehmer, die ihre niedrigen Zinsen frühzeitig sehr günstig abgesichert haben. Die haben heute keine Probleme.
GEWINN: Welchen Arten von Immobilien trauen Sie am ehesten einen
Aufschwung in den nächsten ein bis zwei Jahren zu?
Brezovich: Hotels. Die wieder sehr hohe Auslastung bei den Nächtigungen wird sich zeitverzögert in den Verkäufen von Hotelimmobilien widerspiegeln. Für Büros als Investment spricht, dass staatliche Eingriffe in die Mieten anders als bei Wohnungen sehr unwahrscheinlich sind. Eine schwächelnde Konjunktur würde sich natürlich bei der Nachfrage nach Büros negativ bemerkbar machen. Allerdings haben wir in Wien eine Leerstandsrate von 3,6 Prozent. Das ist phänomenal niedrig.
GEWINN: Und welche Erwartungen haben Sie für Wohnimmobilien?
Brezovich: Der Wohnungsverkauf wird wegen der Stabilisierung der Zinsen sicher etwas besser als 2023 laufen. Die Menschen haben sich langsam auf die höheren Zinsen eingestellt. Sie fin-den Immobilien, die schon unter Berücksichtigung der hohen Inflation günstiger sind. Am Privatmarkt mit gebrauchten Wohnungen sind die Preissenkungen stärker zu spüren als im Neubau. Bei neuen Eigentumswohnungen erwarten wir einen massiven Rückgang der Bauleistung und kaum sinkende Preise. Wir haben immer noch hohe Baukosten und wesentlich höhere Finanzierungskosten für die Bauträger.
GEWINN: Das heißt, potenzielle Neubaukäufer werden weiterhin auf
Mietwohnungen ausweichen?
Brezovich: Der Mietmarkt läuft sehr gut. Es gibt einen grundsätzlichen Bedarf nach Mietwohnungen wegen der stark wachsenden Bevölkerung. Dazu kommen all jene, die sich einen Kauf derzeit nicht leisten können. Wenn eine Stadt wie Wien so stark wächst – von 1,7 Millionen Menschen 2011 auf über zwei Millionen heute –, ist es die Verantwortung der öffentlichen Hand, leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Deshalb sollte man private Vermieter nicht mit Mietzinsobergrenzen bestrafen. Dem Nachfragedruck kann ich nur begegnen, wenn ich mehr Wohnungen baue.
VON ROBERT WIEDERSICH